Im November 2022 stand an einem Vormittag plötzlich eine Frau bei uns in der Tierarztpraxis. Sie hatte einen verletzten Igel in einem Karton dabei. Meine Igelstation war total voll und ich hatte am Tag vorher den “aber wirklich allerletzten” Igel aufgenommen. Also ging ich zu ihr und meinte:
“Haben Sie angerufen?”
“Nein, ich wusste nicht, dass man anrufen muss.”
“Naja, als Igelstation bin ich komplett voll und kann den nicht aufnehmen. Sie hätten anrufen sollen, dann wäre dem deutlich schneller geholfen worden. Jetzt müssten Sie den ins Tierheim bringen”, ich war nicht erfreut…
“Ja, okay”, meinte sie, “wo muss ich den hinbringen?”
‘”Kommen Sie mit, ich suche es Ihnen raus”, antwortete ich und nahm sie mit in einen Behandlungsraum. Ein Blick in den Karton und auf den Igel und mir war klar, dass ich den nicht gehen lassen konnte – einen blutenden Igel.
“Okay, ich kümmere mich um ihn. Ich lege ihn gleich schlafen, dann schauen wir uns die Wunden an. Es kann sein, dass er es nicht schafft, je nach Schwere. Und natürlich kann es sein, dass er ein Schädetrauma hat.”
Die Frau war sichtlich erleichtert. Ich war noch reserviert (wer mich kennt, weiß, dass das eigentlich nicht meine Art ist und ich dann sehr angefressen bin), bat sie aber, beim Empfang ihre Daten zu hinterlegen, damit ich sie anrufen könnte.
Wir legten den Igel in Narkose und seine Verletzungen waren von außen nicht schlimm. Was er am Kopf abbekommen hatte, mussten wir abwarten. Während ich darauf wartete, dass der Igel schlief, kam meine Kollegin vom Empfang zu mir.
“Da warst Du ja not amused”, grinste sie.
“Naja, ich bin voll bis obenhin. Aber ich kann die ja auch nicht mit dem blutenden Igel wegschicken.”
“Das Beste kommt noch – die ist von der Kripo”.
Da musste ich doch einen kleinen Moment Luft holen. Ups – von der Kripo. Immerhin war ich nicht verhaftet worden, war also vermutlich nicht so schlimm.
Das sprach sich in der Praxis natürlich rum, dass Micky der Kripo-Igel ist. Mein Mann konnte es sich nicht verkneifen, mich zu fragen, ob wir jetzt “einen Einsatz umsonst” hätten. Darüber musste ich auch lachen. Die Dame sammelte am nächsten Tag in ihrer Abteilung und hat Micky finanziell gut unterstützt.

Micky hatte tatsächlich schwer einen auf den Kopf bekommen und ich fütterte ihn eine Woche, inklusive Silvester die Nacht durch (er fuhr mit nach Gießen und die anwesenden Kinder waren höchst erfreut, als sie eine Fütterung begleiten durften). Micky hat alles super mitgemacht und geht morgen nach einem guten Winterschlaf und einem halben Jahr auf unserer Igelstation in die Auswilderung.
Tschüß, Kripo-Igel